BBG Raumschaft Geislingen Überregional Fortschreitender Kahlschlag der Krankenhauslandschaft

Fortschreitender Kahlschlag der Krankenhauslandschaft

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Liebe Freundinnen und Freunde der Daseinsvorsorge,

seit 2020 dokumentieren wir Klinikschließungen und warnen vor dem fortschreitenden Kahlschlag der Krankenhauslandschaft. Besondere Aufmerksamkeit bekam das Thema „Bettenmangel“ in der Pandemie, und Karl Lauterbach tingelte durch die Talkshows der Republik und sparte nicht mit Kritik an Spahns Politik. Jetzt ist er als Gesundheitsminister selbst in der Verantwortung. Die aktuellen Reformvorschläge seiner Kommission übertreffen jedoch alles, was wir uns an Negativem für Krankenhäuser vorstellen können. Der Präsident des Bayerischen Landkreistags spricht zu Recht von einer „Schneise der Verwüstung“, die die Reform in Bayern anrichten würde. Aber nicht nur Bayern ist betroffen: Tatsächlich sollen bis zu zwei Drittel aller Krankenhäuser entweder schließen oder ihre Abteilungen stark reduzieren.

Das Ministerium und untergeordnete Gremien wiegeln ab. Da ist von einer „Verlagerung von Behandlungen“ die Rede, wenn Abteilungen und Krankenhäuser ersatzlos geschlossen werden. Kliniken werden „ambulantisiert“; tatsächlich werden Ärzte und Medizintechnik abgezogen, es bleiben nur noch einige Pflegekräfte – und die Angehörigen, die künftig in die stationäre Pflege einbezogen werden sollen. Mit der Aufsplitterung der Behandlungen in 128 (!) Leistungsgruppen soll die „klinische Behandlungsqualität“ gesteigert werden. In der Realität werden die Behandlungsabläufe aus ökonomischen Gründen zersplittert, mit fatalen Folgen für Qualität und Bürokratie.

Und was wird aus dem zerstörerischen System der Fallpauschalen, das Lauterbach vor zwanzig Jahren mit verantwortet hat? Es werde „überwunden“, triumphiert Lauterbach, dabei justiert er das System nur zugunsten privater Klinikkonzerne nach. Und die stationäre Versorgung im ländlichen Raum wird durch Vorhaltepauschalen „gesichert“, wobei diese angebliche Sicherung keinen Cent mehr kosten darf und deswegen auch nicht funktionieren wird. Vorbeugend weist Lauterbach die Verantwortung für Schließungen infolge der Reform schon jetzt zurück: „Die Welle der Schließungen hat ja sowieso schon begonnen.“ Derzeit schließen 10 bis 20 Kliniken pro Jahr. Mit der Reform werden 100 bis 200 pro Jahr schließen. „Die Lobby tobt“ lautete ein Twitter-Bonmot von Lauterbach mit Blick auf seine Reform. Ein Toben der wirkmächtigen Lobby aus privaten Klinikkonzernen und Versicherungen, Pharmaindustrie oder Medizintechnikriesen haben wir jedoch nicht bemerkt. Vielleicht meinte Lauterbach aber auch ein Toben vor Begeisterung, das wäre schon eher vorstellbar.

Einige der Zahlen zu den erwarteten Schließungen stammen von einem Kommissionsmitglied, Prof. Boris Augurzky, er hält eine drastische Verringerung der Zahl der Krankenhäuser seit Jahren für wünschenswert. Einzelne Bundesländer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft äußern sich hingegen warnend, bleiben im Tonfall allerdings überraschend milde: Es dürfe „keine Eins-zu-eins-Umsetzung geben“. Mit einer solchen Kritik wird Kompromissbereitschaft statt Kampfeswille signalisiert.

Es ist Zeit, Klartext zu reden. Auch bei einer abgemilderten Umsetzung der Reform wird die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland voraussichtlich sinken. Wenn von aktuell 810 Geburtsstationen nur noch 428 übrig bleiben, werden deswegen über kurz oder lang mehr Kinder und Mütter sterben. In allen medizinischen Bereichen werden sich die Wartezeiten auf Behandlungen ausdehnen, auch das kann PatientInnen das Leben kosten. Die Reform droht fast flächendeckend die medizinische Ausbildung zu zerstören. Es werden weit weniger Pflegekräfte ausgebildet werden, weil die Zahl der ausbildenden Kliniken sinkt. Die ärztliche Ausbildung wird unter weiterer Spezialisierung leiden, ganzheitliche Behandlungsansätze geraten aus dem Blick, weil sich die Kliniken auf Leistungsgruppen spezialisieren müssen.

Ziel einer Reform sollte es sein, den Menschen die nach aktuellem wissenschaftlichen Stand bestmögliche medizinische Versorgung zugänglich zu machen. Lauterbachs Reform zielt nicht darauf ab, deswegen wehren wir uns nach Kräften dagegen: mit Aktionen, eigenen Konzepten zur Krankenhausfinanzierung und bedarfsgerechten Krankenhausstruktur, mit Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Wir halten Sie weiter auf dem Laufenden.

Freundlich grüßen
Laura Valentukeviciute und Carl Waßmuth
für die Aktiven von GiB

PS: Viele Menschen wissen noch nichts von der geplanten Reform. Deshalb haben wir in einer 4-seitigen Zeitung Lauterbachs Vorschläge und deren mögliche Folgen analysiert (https://www.gemeingut.org/die-zeit-ist-reif-wo-bleibt-die-revolution-die-neue-zeitung-vom-buendnis-klinikrettung/). Verteilen Sie diese Zeitung in Ihrem Umfeld. Sie können sie kostenlos – auch in größeren Mengen – bei uns bestellen. Schreiben Sie einfach eine E-Mail an info@gemeingut.org. Selbstverständlich freuen wir uns auch über Spenden für den Nachdruck der Zeitung.